Wie aktuell ist das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie nach 120 Jahren?

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Dieser Frage gingen am 12. Oktober Prof. Dr. Michael Buckmiller (Hannover), Ralf Hoffrogge (Berlin), Dr. Steffen Kachel und ca. 35 Gäste, anlässlich des 120. Jahrestages des Erfurter Parteitages der SPD, nach.

Die Frage nach der Aktualität ist deshalb sehr wichtig, da die alte Arbeiterbewegung heute für junge Linke kaum traditionsbildend zu sein scheint. Grund dafür sind zum Teil viele Vorurteile, wie die, das die alte Arbeiterbewegung unmodern sei und, vor dem Hintergrund der Globalisierung, Migrationsthematik oder Klimawandel, den aktuellen Anforderungen progressiver Politik nicht mehr gerecht werden würde. Dies stimmt so jedoch nicht, denn schon die alte SPD richtete sich im ihrem Erfurter Programm gegen jede Unterdrückung, "richte sie sich gegen eine Klasse, ein Geschlecht oder eine Rasse" und formulierte damit einen universalen Befreiungsanspruch, der bis heute trägt. Zwar entsprachen viele Aspekte konkreter sozialdemokratischer Politik nicht diesem Anspruch, aber das Programm bot eine Plattform, auf die sich alle die berufen konnten, die im Sinne des Universalismus dachten. Die wichtigste Wirkung des Programms bestand damit in seiner integrierenden kulturellen Funktion nach innen.

In der Diskussion wurde die Form des Erfurter Programms gelobt. Dieses bestand nämlich nur aus zwei Seiten, war also kurz und bündig. Es handelte sich nicht um einen kein Warenhauskatalog, als der der gegenwärtige Entwurf der Linkspartei zu bewerten ist. Kritisiert wurde zudem, dass es in unserem Programmentwurf keinen theoretischen Vorlauf (mehr) vor der tatsächlichen Geschichte gibt. Hervorgehoben wurde die Notwendigkeit der Erweiterung innerparteilicher Demokratie, um einer "Versiffung" der Parteien sowie ihrer Einordnung ins Herrschaftssystem entgegenzuwirken.

Zitat aus dem Erfurter Programm von 1891:

"Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von diesen Anschauungen ausgehend bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, eine Geschlecht oder eine Rasse."